CHANCE? JA!

Tönt das zu klischeehaft? Nein, denn obwohl sich vieles geändert hat, sind die vielen Chancen einer militärischen Laufbahn besonders zwischen 20 und 30 Jahren immer noch unübersehbar. Ob das allerdings die Wirtschaft noch weiss? Wohl kaum. Ist ein Abstecher in die Armee „nur noch“ gut für die Person, jedoch schlecht für ihre Karriere? Hier macht man in der Führung sehr früh prägende Erfahrungen - im einzigartigen Mix von körperlicher Ermüdung, geistiger Herausforderung und ungeteilter Verantwortung für seine Mitmenschen.

ERNST & HUMOR

Rückblickend „versurren“ schmerzliche Erfahrungen, bleibt eher das Fröhliche und wirkt am ...Stammtisch gerne banal. Trotzdem: Die Andersartigkeit vieler Erlebnisse vermittelt in frühen Jahren Erkenntnisse, die man in die Herausforderungen rund um Familie, Beruf und Gesellschaft mit grossem Vorteil mitnimmt. Da kommt einem dann vieles bekannt vor. Auch manche (meiner) gängigen Vorurteile über den und die Menschen kam in der Armee unter die Räder. Weil man "es" eben 1:1, das heisst ganz anders erlebt hatte. Der "Brand" dieser Prägungen zwischen 20 und 30 sitzt. Wie viele junge Offiziere habe ich meine persönliche Auswahl an Denkwürdigem. Und Sie? Und Sie woher?

FACHWISSEN ?

Ich bin überzeugt, dass die Bedeutung des Fachwissens für den Erfolg von Führungspersonen in der Schweiz eher überschätzt wird. Ein Vorgesetzter muss primär Ziele mit Menschen erreichen. Daran (und nur daran) ist er letztlich zu messen. Als ich 1972 in der motorisierten Infanterie in Bière 4 Wochen einen Motorfahrer-Zug mit 20, teils rieseigen Fahrzeugen führen musste, besass ich als einziger keinen Führerschein! Es musste trotzdem gehen - und es ging. Anekdotisch aber war: Trotz atemberaubender, schöner und wilder Ausfahrten zu Trainingszwecken hatte „mein“ Zug schliesslich im Quervergleich am wenigsten Autoschäden. Anekdotisch, aber wahr. Noch schlimmer war ich dran, als ich 1972 als Joker während einer dreitägigen Gefechtsübung einen französisch sprechenden Minenwerferzug wegen der Verletzung eines Offiziers befehligen musste. Hoppla: Wie heissen die Kommandos „en français“? Und wie funktioniert ein Minenwerfer überhaupt genau? So pauschal habe ich wohl nie mehr im Leben delegiert: ich verkündete mit Inbrunst: "Messieurs, faites ce-que vous devez!" Sie taten es. Es klappte tadellos. Offenbar waren sie als Gruppe sonst eher unterfordert. Oder unterschätzt.

LEADER-GEN?

Trifft man auf souveräne Führungspersönlichkeiten, fällt schnell das in der Regel unzutreffende Klischee vom "geborenen Führer". Die Armee relativiert das; denn da gibt es reihenweise Rahmenbedingungen, die wichtiger als die „Gentechnik“: Man ist in einer guten / schlechten Kompanie eingebettet; man hat einen wohlwollenden / demotivierenden Kommandanten; man bekommt die besten / untauglichsten Soldaten zugeteilt; man lernt selber schnell aus Fehlern - oder eben nicht. Meine Qualifikation als junger Leutnant lautet einmal sinnigerweise: "Muss noch älter werden" (das habe ich inzwischen zu 100% erreicht). Ein Highlight: Für denselben taktischen Entscheid wurde ich im Rahmen derselben Übung vom Klassenlehrer übel zusammengestaucht, vom Divisionär dafür in alle Himmel hochgelobt. Objektiver Massstab? Gelernt habe ich als Chef allerdings: "Vertrauen ist nötig - Kontrolle aber auch." Meine Gutgläubigkeit war eben (zu) High Risk. Eine kräftige Fussball-Trillerpfeife für Signale im Schiessgefecht ist mir zum Symbol geworden. Grundsätzlich: Alle meine Befehle kamen durch. Im einzelnen: Von "Soldaten sind keine Hunde!" bis zu "Geniales Kommunikations-Tool!" hörte ich als Kommentar über meine „Innovation“ alles. Das nennt man dann Unité de doctrine. Nehmen sie einem schottischen Regiment mal den Dudelsackpfeifer weg!

HAHNENKAMPF

Ja, wir 68er: Wir leisteten uns in der Offiziersschule allerhand. Da verpasste uns ein glasharter "Schlauchmeister" (gar nicht so viel älter wie wir) schikanöse Nachtübungen und wollte unseren störrischen "Grind" brechen. Wir sorgten im Gegenzug dafür, dass seine Übungen jedes Mal schlecht aussahen, wenn sich hoher Besuch angemeldet hatte. Es ging auf Biegen und Brechen. Er glaubte: "Nur Härte hilft!" - Wir gaben unsererseits keinen Millimeter nach. Eben 68er. Gottseidank begegneten wir uns nachts nie allein an einem dunklen Ort im Wald.
Jahre später vernahm ich, mein neuer Bataillonskommandant wolle mich "als renitenten Kerl" sofort in eine andere Truppe umteilen. Erraten: ER war es. In nur einem Tag hatte er alle meine Kollegen fachlich (allerdings kompetent und jedesmal mit persönlichem Vormachen) derart in den Boden gestampft, dass sie am liebsten heimgereist wären. Wäre im Militär Fahnenflucht… Er drohte mit Gefängnis und setzte knallharte Standards durch (machte jedoch – wie erwähnt - auch ALLES SELBER vor). Überfallartig besuchte er tags darauf meinen Zug, schaute ein Weilchen mit zusammengekniffenen Augenbrauchen meiner Arbeit zu und nahm mich dann zur Seite: "Alles vergessen! Gute Arbeit." Es ging ihm also wirklich um die Sache. Das Eis war gebrochen. Geschmolzen.

SPARRING4LIFE

Die Armee hat überhaupt eine enorme Bedeutung als "Sparring Partner" für halbwüchsige, ziemlich wilde Kerle oder Jungs: Hier kann man sich mal quer stellen, Fehler machen, auf stur schalten. Und riskiert eigentlich wenig. Allerdings: Wie man in den Wald hineinruft, so tönt es jeweils auch heraus. Davon lernt man gehörig einstecken: Nehmerqualitäten heisst das später. Da hatte ich mich in der Rekrutenschule eines Tages vor der grossen Inspektion nicht sauber rasiert, wurde prompt zitiert und musste mich mehrmals – bewusst schikanös - laut anmelden. Das tat ich nicht bzw. ebenso bewusst sehr leise. So kam ich zu 5 Tagen scharfem Arrest. „Vor Gericht“ argumentierte ich, dass mich das Leder-Sturmband des Helms daran gehindert hatte, mein Organ zur Blüte zu bringen. Half nix. Gehört halt dazu. Rein, raus – alles vergessen. In der Offizierschule reichte ich eine Beschwerde gegen einen wirklich unfähigen Jung-Instruktor (Berufsmilitär) ein. Er verbat sich fachlich gerechtfertigte Kritik und liess unsere Klasse den Kasernenplatz mit Helm und vorgehaltenem Gewehr mit Besen und Schaufel von Unrat reinigen. Ich exponierte mich als Einzelperson (eine kollektive Beschwerde war nach Militärrecht gleichbedeutend mit Meuterei) und bekam plusminus Recht. In meiner Qualifikation stand danach jedoch vielsagend: "Hat Mühe sich einzuordnen".

VOLKS-NAH

Und was ist mit der sprichwörtlichen Kameradschaft? Natürlich ist unsere Friedensarmee im Vergleich mit Kriegsveteranen oder der berüchtigten Fremdenlegion ein laues Lüftchen. Letztere können ohne Zögern die selbstlose Unterstützung durch einen Kameraden nennen, wenn man sie auf das "wichtigste Erlebnis" anspricht. Und doch erleben gerade wir Studenten als „Ritter vom grünen Tisch“ (und als vermeintliche Geistesriesen, jedoch mit zartem Unterbau und begrenzter Leidensfähigkeit) nach langwieriger, grosser Anstrengung, nach Hunger, Nässe, Müdigkeit und stechenden Blasen an den Füssen die Welt plötzlich ganz anders. Wenn dann ein stämmiger Handwerker - ohne die geringsten Anzeichen körperlicher Erschöpfung - neben zwei Rucksäcken grinsend noch einen dritten auf die Schulter schwingt, dir den Arm als Stütze anbietet („…und übrigens, das Gewehr kannst du mir auch geben“), ist das ein kapitaler Aufsteller, der nicht einfach abgehakt wird. Und selbst am grünen Tisch bescheiden und dankbar macht. Überhaupt haben es solche Überlebensübungen in sich. Man kommt sich über alle Grenzen hinweg näher. Im Umfeld körperlicher Erschöpfung ergeben sich oft auch ernste und grundlegende Gespräche. Der Lack ist ab. Manche Fassade bröckelt. Man wird echt. Das nimmt man mit. Ein echtes, unverfälschtes Lebensgefühl

LET IT BE !

Den französischsprachigen Minenwerferzug hatte ich für volle 3 Gefechtstage mit harten und langen Märschen von einem übereifrigen Leuteschinder (ein Grenadier unter Füsilieren) "geerbt". Einige Rekruten hatten grässlich den Stinker und versuchten sofort, mich als Neuen zu provozieren. Ich verliess mich auf den zugeteilten Korporal. Dieser zuckte nur mit den Schultern und ich ignorierte einfach, dass zwei der Romands während 3 Tagen (über 90 Kilometer bei sengender Hitze und mit schweren Lasten den Höhen des Genfersees entlang) ständig und aufreizend 100 Meter hinter dem Zug marschierten. Einem mussten wir zwischendurch sogar einen Plastiksack über den Kopf stülpen, weil er so stark hyperventilierte. Kurz vor dem Marschende schlossen sich uns "die Rebellen" plötzlich kommentarlos an, scherzten, lachten und waren hinfort völlig zufrieden. Lehre: Man muss nicht gleich aus jedem Detail eine Durchsetzungsübung, ein weltweites Präjudiz, machen. Eine Marotte? So what…

NAGELPROBE

Auf der Alp Schrina ob Walenstadt dienten wir als Versuchskaninchen für das Anlegen von Schiessübungen für angehende Kommandanten. Es waren interessante, bewegte, aber lange Tage. Und der Ton im scharfen Gefecht laut und unzimperlich. Nicht alle Unteroffiziere waren gleichermassen beliebt, um es höflich auszudrücken. Darunter einige, welche im Gefecht durchaus sehr gute Führungsleistungen erbrachten. Es interessierte mich deshalb sehr, wie die Soldaten ihre unmittelbaren Chefs wirklich beurteilten. Also setzte ich einen Soldaten mit fachlicher Vorbildung ein, welcher eine professionelle Befragung zum Thema durchführte: "Mit welchem Unteroffizier würden Sie im Ernstfall am ehesten in den Krieg ziehen?" Das Resultat war überraschend: Nicht die beliebten Kumpel der späten Stunde in der Landbeiz tauchten an der Spitze auf, sondern ein bärbeissiger, unangenehmer, aber fähiger Haudegen, den eigentlich niemand so recht mochte. Offenbar waren sich die Soldaten durchaus bewusst, welche (anderen) Qualitäten zählen, wenn es ums Ganze geht. Inzwischen weiss ich aus vielen Befragungen, dass Mitarbeiter (ja: auch Schulkinder ihre Lehrer) entgegen der landläufigen Ansicht ihre Chefs meist objektiver und zutreffender beurteilen als viele „hohe Tiere“.

WEGE & UMWEGE

In der zweiten Hälfte beim Abverdienen des Unteroffiziergrads hatte ich riesiges Glück: Meine Gruppe war sehr leistungsfähig (siehe auch die Variablen unter "geborene Führer"). Im Bewusstsein unserer Qualität legten wir uns mit einem arg gestelzten Instruktor an, der uns so richtig vorführen wollte. Schlimmer: Der Instruktor stellte plötzlich meine bisher unbestrittene Eignung zum Offizier in Frage und erteilte mir und der Gruppe einen maliziösen Testauftrag - eigentlich eine Falle: innerhalb einer Stunde nachts im Wald eine Strecke von 6 Kilometern aufklären. Dilemma: Will man die Distanz bewältigen, macht man Lärm und wird gefangen. Ist man leise und vorsichtig, muss man zu früh umkehren und hat den Auftrag nicht erfüllt. Wir entschieden uns für die Teilstrecke und waren innerhalb der Zeitvorgabe zurück. Am grossen Tag der Eröffnung des Vorschlags zum Offizier dann die grosse Enttäuschung: Aufgrund dieses Tests sei ich als "unfähig" beurteilt worden, meinte der Schulkommandant. Ich bot ihm wutentbrannt einen Vergleichswettkampf gegen jede andere der 50 Gruppen in unserer Rekrutenschule an. Ich war sicher, dass meine Gruppe gewinnen würde (siehe oben: geborene Führer). Das machte den erfahrenen Militär stutzig. Er ging der Vorgeschichte nach und deckte die Motive auf. Damit niemand das Gesicht verlieren musste, wurde ich in aller Stille nachdienstlich in Zivil beim Divisions-Kommandanten zur Nachprüfung befohlen. Dieser schaute mir tief in die Augen und murmelte: "Sie spielen Handball?" - "Ja." - "Gut, ich erteile Ihnen den Vorschlag zum Offizier!" Für mich galt Ende gut, alles gut. Aber liest man so Führungskräfte aus? Immerhin hat das autoritäre System Korrekturwege gefunden.

UND DAS FAZIT?

Ein Fazit kann jeder nur persönlich und subjektiv ziehen. Für mich lautet es positiv. Ich habe unzählige frühe Erfahrungen ins Leben mitgenommen, die mir später vieles einfacher von der Hand gehen liessen. So etwa die Auftragstreue und das Einhalten von Terminen: Das reflexartige Zurückrechnen, wann ich mit welchen Vorbereitungen voll einsetzen muss, um zum Termin wirklich bereit zu sein, habe ich erfolgreich verinnerlicht. Vieles ist sicher auch gewöhnliches Management. Aber in der Militärgeschichte geht es ja eigentlich immer um überlebenswichtige Krisenlagen. Deshalb werden Erkenntnisse ernster genommen und einfache Verfahren entwickelt, „die auch im russischen Winter funktionieren.“ Fehler sind tödlich. Für mich, meine Kameraden, meine Soldaten. Und übrigens (als Reminder an meine späte Zeit bei der Luftwaffe): Die berühmte "Helicopter-View" lernt man eben noch immer am besten vor Ort.