DAS LEBEN PUR

Vo nünt chunt nünt - sagt ein Ostschweizer Sprichwort. Die wertvollsten, tiefsten und zugleich schmerzhaftesten Führungserlebnisse hatte ich schon früh. Im Mannschaftssport. Auch faszinierende Begegnungen mit anderen Kulturen. Sport – das ist glasharte Leistungsgesellschaft mit unerbittlichen Sofort-Feedbacks. Er ermöglicht unschätzbare Lebenserfahrungen in einem eher geschützten Rahmen. Ausser man wird Berufssportler.

DER SPIELER

Ich kam erst 1963 zum Sport. Lieber las ich in der Sekundarschule Schiller, Goethe und Shakespeare. Ein Einsatz als Notnagel an der Schülermeisterschaft machte Appetit. Im Lehrerseminar baute ich dann mit 17 ein perfekt abgestimmtes Handball-Team auf, das die grossen Zürcher Gymnasien das Fürchten lehrte. Nach hartem Brot als Seminar Oerlikon (4. Liga) und bei der Lehrersportgruppe (3. Liga) liess ich mich ab 1967 beim TV Unterstrass (Feld NL A) richtig ausbilden und kam dank Personalmangel als mässiger Verteidiger und schneller Flügel zu vielen Einsätzen in der NL A und NL B. Eigentlich war mein Weg Richtung Trainerhandwerk vorgezeichnet. Trotzdem wagte ich mich - vorab auf Stufe 2. Liga - immer wieder als Spielmacher aufs Feld, sei es für Rümlang, Stäfa, Horgen oder Kilchberg.

DER TRAINER

Am Anfang stand die Seminarklasse: Ein durchschnittliches Team erreichte grosse Finals dank blindem Verständnis und optimalem zwischenmenschlichem Räderwerk. Dank der Erfahrung in unteren Ligen kam ich als Jungtrainer zum HC Rümlang (2.-4. Liga). Die Aufgabe reizte mich und war recht erfolgreich (Aufstieg). Sogar bei der Gründung der 1. Frauenliga war ich dabei - in der NL A. Der Abbruch erfolgte wegen steigender Absenzen ab 20 (Studium, Offizier). 1973 kam es zum ersten Prüfstein beim TV Unterstrass: Aus flatterhaften Junioren B formte ich ein schlagkräftiges Team. In der höchsten-Junioren A Spielklasse folgte erst ein geordneter Rückzug, dann im nächsten Jahr eine glänzende Bewährung in der Meisterklasse. Es folgte die Berufung mit erst 26 als Trainer in der NL B Spitzenteams SPOSE Kilchberg. Es folgten 2 x 3 spannende Jahre: erst das extreme Hoch (1976 Spiel um den Aufstieg in die NL A), dann das bittere Tief mit dem Abstieg 1977! Dazwischen lag ein Engagement beim ambitiösen See-Rivalen HC Horgen, der die gute Jugendarbeit endlich in Zählbares umsetzen wollte. Nach meinem Weggang erfolgte ein Total-Umbau mit …elf externen Spielern.

DER ALLROUNDER

Zwar Handballer aus Überzeugung, fand ich auch Zugang zu anderen Sportarten: Über 110m Hürden bin ich sogar ungeschlagen… Ich nahm 1967 an der Mittelschulmeisterschaft auf dem Letzigrund an meinem einzigen Rennen teil und gewann völlig überraschend in 15.9 Sekunden gegen versierte Athleten des LC Zürich. Ich machte im Rollkragenpulli wohl einen exotischen Eindruck. Allerdings: Nach kurzer Trainingsphase beim LCZ erkannte ich schnell, wie weit der Weg zur Spitze wäre. - . Handballer spielen oft und gerne Fussball. Mit den Finanz-Kickers Zürich, einer Plausch-Gruppe der Zürcher Verwaltung , war ich von 1977 bis 2013 im Element ...mit Spielerkollegen von 17 bis 77. Mit dem Zählen der Tore in der Halle habe ich aufgehört: Im Handball Spielmacher, im Fussball Vollstrecker. Eigentlich habe ich das nie begriffen. - . Im Zürcher Kantonsrat gefürchtet: Meine Raids auf dem Micro Scooter, dem jüngeren Bruder des Trottinetts, mit dem ich als Kind jeweils von Zürich bis Nussbaumen bei Baden zur Grossmutter fuhr. Da fühle ich mich pudelwohl. Neuerdings mit Elektrokick und Hüftschwung. - . Da wären noch einige Abstecher: Wasserball [fast ertrunken]. Curling [doppelter Turniersieger]. Badminton [toll & intensiv]. Velofahren [ausser bergauf]. Schiessen [ordentlich]. Ski [eine Gefahr für alle]. Wandern & Walking [„Never change…“].

DER AUSBILDER

Parallel zur Vereinslaufbahn holte ich mir eine erstklassige Trainer-Ausbildung. Von 1971-1974 durchlief ich in Magglingen alle Stufen bis zum J+S Experten und zum SHV Instruktor und liess danach einiges in den Verband zurückfliessen: in Schüler-Ferienkurse, Handball-Wochen, Förderlagern, Lehrer- und Leiterkursen. Zwischendurch gründete ich als Selbsthilfe die Handball Trainer Union. In der schweiz. Junioren-Kommission (Ressort Regionalauswahlen) ging es in den 70er Jahren darum, den Weg des talentierten Juniors vom Verein bis in die Nationalmannschaft optimal auszugestalten. Diese Problematik rund um eine faire und optimale Auswahl- & Förderung brachte mir auch beruflich sehr viel. In den 80er Jahren ging es in der schweiz. Ausbildungskommission (Höhere Trainer Ausbildung) dann darum, Trainersymposien und Nationalliga-Trainer-Kurse zu organisieren und zu moderieren. Immer mehr konnte ich nun selber aus dem Gebiet der Führung, Auswahl und Konfliktbewältigung beitragen. Allerdings lockerte sich aus beruflichen Gründen der Kontakt zum immer professionelleren Handballspiel. 1995 überreichte mir der Schweizerische Handball-Verband zum Dank für 20 Jahre Aufbauarbeit die goldene Ehrennadel.

DER LEKTOR [IHF]

Und das kam so: Das Internationale Olympische Komitee in Lausanne finanziert durch seine Direktion „Olympische Solidarität“ jährlich eine Anzahl Sport-Entwicklungskurse für Trainer auf nationalem Niveau. Die Sportverbände benennen fachlich versierte und weltgewandte Dozenten. So wurde ich IHF Lektor. Im Sport hat man direkten Zugang zu den Menschen: Vor allem die Kurse in Teheran 1984, Damaskus 1985 und Tripolis 1989 ermöglichten mir in kürzester Zeit unvergleichliche kulturelle Einblicke. Ein Beispiel unter Beduinen: In Libyen fragte ich meinen Gastgeber, ob er mir Geld wechseln könne. Er sagte, das sei leider verboten: „Aber sag mir einfach wie viel du brauchst, damit ich es dir schenken kann." Die Kurse waren methodisch wie organisatorisch ein Prüfstein! In der Regel flog man am Vortag ein, war gar nicht so sicher, ob man überhaupt erwartet wurde und musste sich bis spät in die Nacht Lektionsvorbereitung für ein unbekanntes Zielpublikum befassen… Die Kurse dauerten 1 bis 2 Wochen. Im Einmannbetrieb mit Dolmetscher. Es ging nicht nur um das Handball Einmaleins, sondern auch um den Aufbau einer Sportbewegung. Wie entsteht ein Verband? Wie beschafft man Mittel? An Zwischentagen lernte ich die Schönheiten des Landes kennen, kam in direkten Kontakt mit den Familien und Regierungsstellen. Die Einsätze waren derart komprimiert, dass erst mit dem Verfassen der Berichte die ganze Fülle des Erlebten greifbar wurde. Das Sahnehäubchen meiner Laufbahn als Sportler!

DER GRENZGAENGER

In der sportlichen Herausforderung, im Kräftemessen und im Hochgefühl der erbachten Leistung liegt der grosse Kick für Sportbegeisterte. Man lernt Sieg und Niederlage kennen. Ausreden weglassen - realistische Ziele setzen. Mein Handballpotenzial als Spielmacher reichte eben gut für die 2.Liga. Zu mehr nicht. Dafür fielen im Plausch-Fussball die Tore manchmal fast unerklärlich …wie reife Früchte. Auch das läuferische Talent war erfreulich. Meine Hürden-Eskapade und ein 100m-Rennen neben Reto Diezi (10.2 Sek. – natürlich er, nicht ich) machten mir aber das riesige Loch von Plausch zu Spitze (schmerzhaft) greifbar. Am besten lernte ich meine Grenzen an der Universität Aberdeen 1971 kennen. Dort erhielt jeder (ausserordentlich fair und liberal) eine Chance im Universitätsteam: ein Trial. Ich nahm den Challenge an und versuchte mich im Basketball und im Fussball. Wie sich herausstellte neben ehemaligen Profis. Nach wenigen Minuten zog ich die Lehre selber.

DER EGO-SCOUT

Der Sport bietet eine Fülle von Chancen, sich kennen zu lernen. Die körperliche Erschöpfung, das psychische Nachgeben, das Eingestehen der Niederlage sind nur ein Teil der Palette. Sehr wichtig ist die Fähigkeit, sich realistisch einzuschätzen, seinen Platz zu suchen und zu behaupten - die eigenen Ambitionen auf das Potenzial abstimmen: Genau das predigte ich übrigens später als Personalentwickler. Wichtig ist mir Fairplay und Respekt vor dem Gegner. Auch für den krass unterlegenen Gast: Als mein unterklassiges Team aus Rümlang 1969 gegen die austrainierten Handballer des dänischen Topteams aus Naestved keinen Fuss vor den andern brachte, traten die dänischen Verteidiger mehrmals unauffällig zur Seite, damit wir einige Ehrentore markieren konnten. Eine edle Geste ist es auch, wenn der Sieger dem Unterlegenen am Schwingfest das Sägemehl von den Schultern klopft. Fragen zur Ethik des Erfolgs stellten sich im Sport ja viel früher als im Beruf. Sport formt. Konflikte mit dem Trainer, den Mitspielern, dem Gegner, den eigenen und fremden Zielen, dem Umfeld fordern und entwickeln die Persönlichkeit. Nach dem und ein einziges Tor verpassten Aufstieg in die NL A (mit Spose Kilchberg) erhielt ich 1976 als Trost Blumen vom Vater eines jungen Kaderspielers. Dieser habe sich auch im Gymnasium stark verbessert, seit er mit der ersten Mannschaft regelmässig und hart trainiere. Schöne Geste, eindrückliche Lehre.

DER TEAM-BILDER

Im sportlichen Zeitraffer des Auf und Ab einer Meisterschaft laufen viele Entwicklungen rascher, härter, verwirrender ab. Mit dem Fast-Aufstieg in die NL A kam ich zu einem überraschenden (und eher unverdienten) Anfangserfolg. Mit dem unmittelbar folgenden Abstieg in die 1. Liga folgte ein frustrierendes Erlebnis. Wer trug wieviel Schuld? Gründe für Erfolg wie Misserfolg sind im Teamsport so schwer dingfest zu machen, dass einen tiefe Zweifel über Machbarkeit und Planbarkeit befallen. Die Dynamik des Teams, seine innere Organisation, das „Momentum“ erweisen sind oft viel bestimmender als sauber geplante Trainingsinhalte und geniale Spielkonzepte. Auch wenn Trainer so gern darüber philosophieren. Über die erfolgreichen natürlich. Heute bin ich überzeugt, dass der organische Auf- und Zusammenbau eines Teams alle anderen Einflüsse dominiert. Die fachliche "Ideologie" des Trainers ist eher ein Risikofaktor denn Erfolgsgarant. Die Grundzüge der Spielanlage liegen im Mannschaftsgefüge selber. Auch "magische" Trainer scheitern plötzlich, wenn sie ein Team menschlich nicht voll zu erfassen vermögen. 11 Freunde müsst ihr sein: Sepp Herbergers Spruch ist weder altmodisch noch trivial.

DER CHEF-LEHRLING

Wer führt, ist allein. Erfolg gibt Recht. Misserfolg setzt ins Unrecht. Wenn es nicht läuft (weiss der Teufel weshalb!), lernt man sich selber sehr gut kennen… Solche Trainer-Zyklen brennen sich tief ein. Wir reifen. Kilchberg gab mir in jungen Jahren die Chance dazu. Nach dem unerwarteten Erfolg mit Kilchberg baute ich das Team um, eliminierte bewährte Kräfte und setzte Hals über Kopf auf die dynamische Jugend: „Wenn die Alten (u.a. der beste Torschütze) unser schnelles Spiel nicht mehr behindern, fallen die Tore wie reife Früchte.“ So die Annahme. Und tatsächlich: Es folgten gute bis sehr gute Resultate in den Vorbereitungs-Spielen. Allerdings ohne Resultatdruck. Bei den "Big Points" in den Ernstkämpfen dieser Saison fehlten die Routiniers schmerzlich: Wir verloren reihenweise mit einem Tor Differenz. Das war nicht Meister Zufall. Nein, die Leader fehlten. Als Trainer klammerte ich mich an das unstrittige Potenzial des Teams. Das kann ja nicht sein! Der Misserfolg blieb. Es kam zu Kritik, Anfeindungen, innerer Emigration. Wechselwirkungen zwischen Team und Trainer führten in eine lange Abwärtskurve der Demotivation, deren logischer Schluss (wie so oft) der Abstieg war. Heute - Jahrzehnte später - wäre ich viel lockerer. Die schmerzhafte Erfahrung mit 29 bleibt für immer unschätzbar.

DER FOERDERER

Heute kann ich einiges selber tun, fördern und unterstützen. Sport ist zwar keine heile Welt, aber die Chancen für die Stärkung von Individuum und Gemeinschaft sind dicht und enorm. Die Leistung und die Bedeutung der fast 30‘000 Sportvereine (und ihrer jungen Trainer/-innen!) wird in der Schweiz krass unterschätzt. Im Panathlon Club Albis (Service Club) lassen wir uns an den Treffen über neue Trends informieren und unterstützen junge Talente punktuell auf dem Weg zur Spitze. Im Forum Pro Wettswil versuchte ich mit den Vereinen die Bevölkerung zu überzeugen, dass Infrastrukturen wie eine Sporthalle in der Region das grosse Potenzial an Jungen aktivieren könnte. Im Kantonsrat konnte ich mitwirken, dass nach 25 Jahren Druck auch in Zürich ein Mittelschul-Zug für sportlich und musisch Begabte eingeführt wurde. Mit Freude nahm ich Repräsentations-Pflichten an Sportanlässen wahr. Es war dies auch Wertschätzung für die Organisatoren. Die Probleme kenne ich ja aus eigener Anschauung. Als Präsident der Supporter-Vereinigung des lokalen Fussballclubs konnte ich die finanzielle Grundlage der ersten Mannschaft und der Juniorenabteilung stärken. Als Socio des FC Barcelona besuche ich oft La Masia, die Talentschmiede des Branchenführers. Auch im Schweizerischen Handball-Verband bietet sich als Zürcher Delegierter hin und wieder die Gelegenheit, dem Verband durch konstruktive Voten Brücken zu bauen. Und seit einigen Jahren stelle ich mich sporadisch für Task Forces oder Braintanks zur Verfügung, welche die „gemütlichen“ Strukturen des Schweizer Handballs in die Neuzeit führen sollen. Als Präsident von PluSport Behindertensport Kanton Zürich schmiede ich Allianzen und ermuntere die Vereine.